Presse


KZ-Gedenkstätten befürchten schweren Schaden für die Erinnerungskultur

Vor dem Hintergrund von Meldungen zur Frage eines möglichen AfD-Vorsitzes im Kulturaus­schuss unterstützt die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, in der die Leiterinnen und Leiter der vom Bund institutionell geförderten Gedenkstätten Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen zu­sammengeschlossen sind, die parteiübergreifende Initiative von Kulturschaffenden, die sich mit einem „Offenen Brief- Für Freiheit und Vielfalt in Kunst und Kultur!“ an den Ältestenrat des Bundestages gewandt haben (www.kulturausschuss-schuetzen.de)

Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten teilt die Sorge, dass bei Übernahme des Vor­sitzes im Ausschuss für Kultur und Medien durch einen Vertreter der AfD-Fraktion im In- und Ausland beträchtlicher Schaden für die in einem langen Prozess der gesellschaftlichen Ver­ständigung entwickelte bundesdeutsche Erinnerungskultur droht. Die Erinnerung an die na­tionalsozialistischen Verbrechen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Sie wird von maßgeblichen Funkti­onsträgern der AfD infrage gestellt. Es darf nicht zugelassen werden, dass die parlamentari­sche Stimme bundesdeutscher Kulturpolitik in den Händen jener liegt, die eine „erinne­rungspolitische Wende um 180 Grad“ fordern, sich zum Stolz auf „die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ bekennen und erklären, dass man den Deutschen „diese zwölf Jahre nicht mehr Vorhalten“ müsse.

Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten fordert deshalb die Fraktionen im Deutschen Bundestag, die sich der Freiheit der Kultur und dem Gedenken an die Opfer des NS-Regimes verpflichtet wissen, dazu auf, durch die Geltendmachung ihrer Zugriffsrechte die Übernahme des Ausschussvorsitzes durch die AfD-Fraktion zu verhindern.

Berlin, den 29. September 2017

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland

Dr. Insa Eschebach, Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück

Dr. Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Dr. Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau

Dr. Stefan Hördler, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Ge­denkstätte und Museum Sachsenhausen

Prof. Dr. Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald-Dora Dr. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten Geschäftsführung:

Dr. Thomas Lutz, Gedenkstättenreferat

Stiftung Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin Tel.: 030-254509-15; lutz@topographie.de


Auszug aus den „archivnachrichten“ 15/1-2015:

Erinnerungsarbeit in Hessen
Wanderausstellung der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten- und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit

Flankierend zu seiner Ausstellung über „Eugenik und NS-Euthanasie im 20. Jahrhun­ dert“ präsentierte das Staatsarchiv Marburg über die Sommermonate die aus zwölf Tafeln bestehende Wanderausstellung „Gedenken in Hessen“ der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten- und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen (LAG), die von Interessenten bei der LAG weiterhin angefordert werden kann.

Der mehrteilige US-amerikanische Film „ Holocaust“, ausgestrahlt 1979 in den dritten Programmen des deutschen Fernsehens, der die fiktive Geschichte der jüdischen Familie Weiß thematisierte, hatte eine gera­ dezu katalytische Wirkung. Das betonten die Leiterin des Gedenkstättenreferates der Landeszentrale für po­ litische Bildung, Dr. Monika Hölscher, und das Mitglied des Sprecherrats der LAG und Leiter der Gedenkstätte Breitenau, Dr. Gunnar Richter, bei der Eröffnung der Ausstellung im Hessischen Staatsarchiv Marburg am 7. Juli in ihren Vorträgen. Erstmals waren breite Bevölke­ rungsschichten nicht nur bereit, sich mit den Verbre­ chen des NS-Regimes auseinanderzusetzen, sondern begannen in der Folge auch im lokalen Raum – nach dem Motto „Grabe, wo du stehst“ – nach Spuren der Verfolgung zu suchen und die NS-Geschichte aufzuar­ beiten.

Hatte es bundesweit vor 1980 jenseits der großen KZ-Gedenkstätten kaum lokale Gedenkorte gegeben , sprossen sie nun auch in Hessen geradezu hervor: eine Entwicklung, in deren Folge die Landeszentrale für politische Bildung 1997 das Gedenkstättenreferat einrichtete und sich 1999 Vertreter der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen in Marburg zu einer Inter­ essen- und Arbeitsgemeinschaft zusammenschlossen. Beide, Gedenkstättenreferat und LAG, arbeiten seither eng zusammen . Die Landeszentrale betreut – über das gesamte Land Hessen verteilt – derzeit die beachtliche Zahl von über fünfzig Gedenkstätten und Initiativen. In der LAG organisiert sind davon rund vierzig. Typisch für die hessische Gedenkstättenlandschaft ist, dass sie mit Ausnahme von vier Einrichtungen allesamt ehren­ amtlich betreut werden, worin sich ein außerordentlich hohes zivilgesellschaftliches Engagement spiegelt.

Die LAG nahm die skizzierte Entwicklung zum Anlass, in einer systematisierenden Ausstellung die Gedenkstättenlandschaft und das Spektrum ihrer Ge­ denkarbeit in Hessen vorzustellen : Der frühe Widerstand gegen die NS-Diktatur und Zwangsarbeit sind ebenso Thema wie Straf- und Arbeitserziehungslager, Kriegsgefangenenlager, frühe Konzentrationslager und KZ-Außenlager. Die Verfolgung bestimmter Gruppen wie Juden, Sinti und Roma, Behinderte und psychisch Kranke werden ebenfalls thematisiert . Einige Tafeln zu Synagogen und Mikwen als zerstörte und restaurierte oder wiederentdeckte Erinnerungsorte an jüdisches Le­ ben sowie verfolgte und ermordete jüdische Mitbürger ergänzen die Ausstellung . Gerade in Hessen sind diese wegen der Bedeutung des Judentums – auch auf dem Land – in besonderer Anzahl vorhanden. Vorgestellt werden zudem Gedenk- und Bildungseinrichtungen, die sich der Vermittlung verschiedener Aspekte des Nationalsozialismus widmen. Der Ausstellung gelingt es gleichzeitig, das Funktionieren des NS-Regimes im lokalen hessischen Raum aufzuzeigen sowie den eigen­ ständigen und spezifischen Beitrag der Gedenkstätten und Initiativen zu dessen Erforschung und Vermittlung an eine breite Öffentlichkeit mit vielfältigen Mitteln an­ schaulich zu dokumentieren.

Interessenten können die Wanderausstellung bei der LAG anfordern und vor Ort präsentieren . Es ist möglich, sie durch Info-Tafeln zu einzelnen lokalen Initiativen und Gedenkorten zu ergänzen und zu ver­ tiefen; im Staatsarchiv Marburg informierten die Ge­ denkstätte und das Museum Trutzhain (ehemaliges Kriegsgefangenenlager Stalag IX A Ziegenhain), die Geschichtswerkstatt Marburg e. V., der Arbeitskreis Landsynagoge Roth e. V., das Dokumentations-und In­ formationszentrum Stadtallendorf sowie das Jüdische Museum in der ehemaligen Mikwe in Rotenburg an der Fulda über ihre Arbeit .

Annegret Wenz-Haubfleisch , Hessisches Staatsarchiv Marburg

Kontakt für die Ausleihe:
Renate Dreesen (rdreesen@gmx.net)

Den Artikel mit Bildern können Sie hier downloaden.